Hamburger GEW, Schüler- und Elternkammer wollen keine Entstaatlichung der beruflichen Schulen

Mit einem Paukenschlag eröffnete die GEW ihre Fachtagung »Neue Rechtsformen für die berufsbildenden Schulen« am Donnerstag. Zu dieser hatte die Lehrergewerkschaft nicht nur ihre Vorsitzende Eva-Maria Stange aufgeboten, sondern auch zahlreiche Experten aus verschiedenen Bundesländern. Die Hamburger GEW will, gemeinsam mit Schüler- und Elternkammern sowie dem Lehrerverband, ein Volksbegehren durchführen, um die vom Senat geplante Übernahme der 48 Berufsschulen in eine wirtschaftsorientierte Stiftung zu verhindern. Vom 23. August bis 5. September sollen 60 000 Unterschriften gesammelt werden, um einen Volksentscheid zu erzwingen. Die Initiatoren betonen dabei die bundesweite Bedeutung ihres Anliegens, denn auch in Bremen sollen Teile der Berufsschulen in eine GmbH verwandelt werden.

»Die Hamburger Politiker sind gut beraten, endgültig die Hände vom Stiftungsmodell für die beruflichen Schulen in der Hansestadt zu lassen. Das Modell ist in weiten Teilen verfassungswidrig«, so Ursula Herdt, beim GEW-Vorstand für berufliche Bildung zuständig, am Donnerstag auf einer Pressekonferenz in Hamburg. Die Gewerkschafterin berief sich auf ein Rechtsgutachten, das der Oldenburger Wissenschaftler Prof. Dr. Dieter Sterzel im Auftrag der Max-Träger-Stiftung erstellt hatte. Dessen Kernaussagen: Entstaatlichung der Berufsschule hebelt die Grundsätze der dualen Berufsausbildung aus und widerspreche dem im Grundgesetz festgelegtem staatlichen Bildungsauftrag. Hamburgs GEW-Vorsitzende Stephanie Odenwald sieht in dem Gutachten eine Unterstützung: »Nur wenn die beruflichen Schulen uneingeschränkt bei der staatlichen Behörde bleiben«, sei »gewährleistet, daß Jugendliche eine umfassende Bildung erhalten.«

In der Tat läßt das Gutachten wenig Spielraum: »Aus dem Primat des staatlichen Erziehungsauftrages folgt laut Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichtes, daß sich der staatliche Geltungsbereich nicht nur auf die organisatorische Gliederung bezieht, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und der Unterrichtsziele umfaßt.« Die Schulaufsicht gehöre zu den obligatorischen Staatsaufgaben, die nicht an eine private Stiftung übertragen werden können. Sterzel sieht das »grundgesetzliche Demokratiegebot« in Gefahr. »Dem Hamburger Schulgesetzgeber ist es daher verwehrt, eine Stiftung des öffentlichen Rechts als ›Form der kollegialen Selbststeuerung‹ quasi in die Rolle einer Einrichtung der funktionalen Selbstverwaltung schlüpfen zu lassen«, so Sterzel.

Genau das sah das neue Stiftungsmodell vor, mit dem vor allem die Wirtschaft Einfluß erhalten sollte. Die Handelskammer will es ermöglichen, daß »die Lerninhalte besser an die Bedürfnisse der Praxis« angepaßt werden. Übersetzt heißt dies: Wegfall allgemeinbildender Fächer (wie Deutsch und Politik) sowie die Reduzierung theoretischen Unterrichts auf Fachunterricht.

Seit 2001 betreibt die Handelskammer die Privatisierung der Hamburger Berufsschulen offensiv und traf dabei immer wieder auf erheblichen Widerstand. Beim FDP-Schulsenator Lange und dem alten CDU/FDP/Schill-Senat fand man endlich Unterstützung. Dieser erklärte das Anliegen der Handelskammer zu einem der »ehrgeizigsten Reformvorhaben« der Hamburger Regierung. Doch selbst in den Workshops der Bildungsbehörde kam es zum offen Widerspruch. Viele Betriebsvertreter lobten »die bisher gute Zusammenarbeit mit den Berufsschulen.« Um den Protest abzuschwächen, sah sich der alte Senat im November 2003 dann gezwungen, einen Garantieschutz für bisherige Berufsschulstandorte abzugeben. Im April legte die neue Schulsenatorin Alexandra Dinges-Dierig das Vorhaben dann »zunächst auf Eis«, um in einer »Potential- und Schwachstellenanalyse« die Notwendigkeit der Privatisierung erneut zu prüfen. GEW, Eltern- und Schülerkammern werteten dies als »Bankrotterklärung« der bisherigen Schulpolitik, wiesen jedoch gleichzeitig darauf hin, daß damit noch keine Absage an ein Stiftungsmodell verbunden ist. Deshalb soll das Volksbegehren stattfinden.

http://www.jungewelt.de/2004/06-11/015.php