[Der nachfolgende Text ist als Beitrag zur Analyse der Ein-Euro-Jobs für das Hamburger Sozialforum entstanden. Er wurde für die Zeitschrift „Politische Berichte“ gekürzt. Diese gekürzte Fassung wird hier dokumentiert.]

Skandalöse Behandlung von Arbeitslosen und staatlich gefördertes Lohndumping

HAMBURG. In den vergangenen Wochen hat das Bekannt werden von Praktiken der „Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft“ HAB eine öffentliche Diskussion über diese Maßnahmen hervorgerufen. Neben der menschenunwürdigen Behandlung von Arbeitslosen, die von Geschäftsführer Scheele als notwendige „Trainingsphase“ zur Feststellung der „Verlässlichkeit“ gerechtfertigt wird, erweist sich zunehmend, dass das Ein-Euro-Programm im Kern der staatlichen Förderung des Lohndumpings und der Verdrängung regulärer Arbeitsplätze dient. Da offenkundig wird, dass es zu den derzeit angelegten Kriterien keinesfalls genug „Arbeitsgelegenheiten“ geben wird, wird nicht etwa das Programm in Frage gestellt, sondern der Leiter des Amtes Arbeitsmarkt und Strukturpolitik, Bernhard Proksch, erklärt die Absicht der Stadt, die Kriterien für die Zulässigkeit abzusenken (Hamburger Abendblatt 18.11.2004).Wir dokumentieren im Folgenden Auszüge aus dem Erfahrungsbericht einer Betroffenen und aus der Analyse des Hamburger Sozialforums. (ulj)

Hamburger Arbeit bei der Durchführung der Ein-Euro-Maßnahmen überfordert

10 000 Ein-Euro-Jobs sollen allein in Hamburg entstehen. Zwischen 600 000 und 1 Million bundesweit. Schon jetzt sind in Hamburg zweitausend dieser Arbeitsgelegenheiten geschaffen, größtenteils bei der Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft ( HAB ). Doch die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft ist mit der Durchführung dieser Ein-Euro-Maßnahmen überfordert! Das ist das Ergebnis von Prüfungen des Sozialforums.

Ausgangspunkt hierfür war die Zuschrift einer Teilnehmerin an einer solchen Ein-Euro-Maßnahme in Hamburg, die auf groteske Verhältnisse hinwies. Die Recherchen zeigen an, dass die Umsetzung der Ein-Euro-Maßnahmen konkret in Hamburg entweder zu sehr fragwürdigen Ergebnissen führen oder aber – nehmen wir die Äußerungen des HAB-Betriebsleiters Peter Steinert zur Grundlage – Einstieg für ein weiteres Lohndumping sind, mit dem reguläre Arbeitsplätze gefährdet und vorhandene Qualifikationen am Arbeitsmarkt entwertet werden. Konkret:

a) Bei der Akquisition von Arbeitsaufträgen durch die HAB, werden die Prinzipien der „Zusätzlichkeit“ und des „öffentlichen Interesses“ nicht oder nicht ausreichend beachtet. Nach dem Kriterium der Zusätzlichkeit sind nur solche Aufträge zulässig, wenn diese Arbeiten ohne die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Arbeiten, die auf Grund einer rechtlichen Verpflichtung durchzuführen sind oder üblicherweise von juristischen Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt werden, sind nur förderungswürdig, wenn sie ohne die Förderung voraussichtlich erst nach zwei Jahren durchgeführt werden.“ (SGB III § 261). Nach dem Kriterium des öffentlichen Interesses liegen Arbeiten dann im öffentlichen Interesse, „wenn das Arbeitsergebnis der Allgemeinheit dient. Arbeiten deren Ergebnis überwiegend erwerbswirtschaftlichen Interessen oder den Interessen eines begrenzten Personenkreises dient, liegen nicht im öffentlichen Interesse.“ (SGB III § 261). Die Hamburger Arbeit akquiriert – so die Aussage ihres Betriebsleiters Peter Steinert – Arbeitsaufträge in folgenden Bereichen: Renovierung von Wohnunterkünften und der Wohnungen von Sozialhilfeempfängern, Renovierung von Kindergärten, Reinigung von Kinderspielplätzen, Gestaltung von Grünflächen. Alle diese Auftragssegmente entsprechen nicht dem Kriterium der Zusätzlichkeit und zum Teil auch nicht dem des öffentlichen Interesses. Es handelt sich größtenteils um Regelaufgaben der Stadt oder sie dienen, wie bei der Renovierung der Wohnungen, einem begrenzten Personenkreis. Diese Aufträge sind – so das Gesetz – nicht förderungsfähig. Die Deutung der HAB, dass „Zusätzlichkeit“ dann gegeben sei, wenn für marktübliche Bezahlung kein Geld da sei, ist skandalös und muss als Versuch bewertet werden, reguläre Arbeitsverhältnisse im Handwerk und im öffentlichen Dienst über Dumpingpreise zu beseitigen bzw. zu gefährden.

b) Entsprechend dem Zwangscharakter der Ein-Euro-Jobs ist die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft nicht in der Lage, Ein-Euro- Beschäftigte würdevoll und vernünftig zu behandeln. Die Ein- Euro-Jobs bilden kein reguläres Arbeitsverhältnis, es sind rechtlose „Arbeitsgelegenheiten“. In fest gefügten Blocks werden Ein-Euro-Beschäftigte nun – wohl aufgrund mangelhafter Auftragslage – wochen-, ja monatelang, mit „Übungseinheiten“ beschäftigt, die nutzlos sind (…) Anleiter betonen, dass, mangels eigener Auftragslage, die „Mitarbeiter irgendwie beschäftigt werden“. Im Ergebnis eigener Gespräche mit Teilnehmern der Ein- Euro-Maßnahmen bei der HAB, können wir diese Angaben eines ersten Berichts einer Teilnehmerin, nun leider nur bestätigen.

c) Auf Anfrage konnte die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft keine wirklichen Qualifizierungsmaßnahmen benennen. Qualifizierende Maßnahmen müssen konkretisierbar und auch zertifikationsfähig sein und können sich nicht nur auf „Softskills“ beziehen. Sie sollen und müssen auch fachlich sinnvoll sein.
Wie aber soll die HAB solcherart qualifizierende Maßnahmen vorhalten oder anbieten können, wenn gleichzeitig die Dienstleistungsträger für solche Qualifikationsmaßnahmen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Hamburg geschlossen werden? So z.B. „Zebra2V oder die „Stiftung für berufliche Bildung“.

d) Die Hamburger Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft führt Einführungsveranstaltungen für Neuankömmlinge in den Ein-Euro-Maßnahmen durch, die der Zielgruppe nicht entsprechen. In ganztägigen Modulen werden allgemeine Vorschriften erläutert und Belehrungen veranstaltet, die zudem diskriminierend sind. So sollten sich Ein-Euro-Beschäftigte verschiedenen Geschlechts nicht isoliert treffen dürfen („außerhalb der Arbeitskolonne“), da damit sexuelle Belästigungen verbunden sein könnten. Diese Behandlung von armen und arbeitslosen Menschen – so als wenn es sich um potentielle Sexualstraftäter handelt – ist empörend. Man gewinnt den Eindruck, es ginge um Erziehungslager.

e) Die HAB ist nicht in der Lage geeignete Formen der Vertretung für Teilnehmer der „Arbeitsgelegenheiten“ zu implementieren. So bleiben die Teilnehmer vollkommen rechtlos, Widerspruchs- und Beschwerdeverfahren sind nicht integriert.

Dies veranlasst zu folgenden Feststellungen:

Das Versprechen auf sinnvolle Arbeit für mehr Menschen kann durch das Ein- Euro-Programm nicht realisiert werden, sofern die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentliches Interesses gewahrt bleiben. Werden diese aber nicht berücksichtigt, gefährdet das Ein- Euro-Programm reguläre Arbeitsplätze vor allem im Handwerk. Die Handwerkskammer hat sich zu solchen Programmen in der Vergangenheit sehr klar geäußert. Mit der Einführung von Ein- Euro-Maßnahmen sind die arbeitsmarktpolitischen Erfordernisse nicht zu bewältigen. Statt der Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten wäre eine Ausweitung von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen eine sinnvolle und weitgehend kostenneutrale Alternative. Aber ABM wird in Hamburg total heruntergefahren und soll Ende 2005 vollständig beseitigt sein. Trotz der auch bei ABM gegebenen Gehaltskürzungen, die wir kritisieren, verbleiben doch erhebliche Unterschiede: So sind Qualifizierungsmodule fester Bestandteil, es existiert ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitsvertrag, der dem Arbeitnehmer allgemeine Rechte und auch eine Interessenvertretung über einen Betriebsrat sichert. ABM sind näher dran am allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Ein-Euro- Jobs sind hingegen der erste Schritt zur Bildung eines „dritten Arbeitsmarktes“, der vom allgemeinen Arbeitsmarkt noch weiter entfernt ist, als der „zweite Arbeitsmarkt“. Die Gestaltung von Maßnahmen darf nicht den einzelnen Trägern überlassen werden. Diese haben ein starkes Eigeninteresse daran, möglichst viele Teilnehmer im jeweiligen Träger zu versammeln, unabhängig davon, ob sie diese tatsächlich einsetzen können oder auch nicht. Notwendig wäre die Bildung öffentlicher Aufsichtsräte, die für die Träger verbindliche Vorgaben erarbeiten (Qualifizierungen, Arbeitseinsätze, Mitwirkungsmöglichkeiten etc.) In diesen Aufsichtsräten sollten Vertreter der Handwerkskammer, der Gewerkschaften, der Behörden und kommunaler Gremien aus den einzelnen Stadtteilen vertreten sein. Die Kriterien der Zusätzlichkeit und des öffentlichen Interesses müssen strikt eingehalten werden, um nicht eine weitere Spirale des Lohndumpings auszulösen. Das Prinzip der Freiwilligkeit ist strikt zu beachten. Wer freiwillig eine Ein-Euro-Maßnahme übernimmt, kann nicht dafür bestraft werden, wenn er sich dafür entscheidet, diese wieder abzubrechen, weil er erkennt, dass diese ihn nicht näher an den allgemeinen Arbeitsmarkt heranführt.

http://www.gnn-archiv.staticip.de/archiv/PB/2004/25pb.pdf // Seite 12,13