Juni 1994

Grüne und PDS legen zu

Das Wahlergebnis für die Europawahlen folgt auch in Hamburg im wesentlichen dem Bundestrend: Während die SPD, die sich in den letzten Monaten (insbesondere seit Scharping) darum bemüht, sich als eine Art „CDU-light“ zu präsentieren, gewaltige Stimmeneinbußen erhält, die CDU sich im wesentlichen stabilisiert, können GRÜNE und PDS prozentuale Gewinne verbuchen (die FDP fällt unter die 5 Prozent). Ebenfalls dem Bundestrend folgend, aber in Hamburg besonders ausgeprägt: nur noch rund 50 Prozent der Wahlberechtigten haben sich überhaupt beteiligt, im Stadtteil St. Pauli gar nur noch 20,5%. Faschistische, populistische und rassistische Gruppierungen gehen geschwächt aus der Wahl, erhalten aber – zusammengerechnet für Hamburg – immer noch mehr wie 5 Prozent der abgegebenen Stimmen. Politisch hat das Wahlergebnis vor allem dreierlei zum Ergebnis. Da ist zum einen der gewaltige Stimmenzuwachs für die PDS. Zustandegekommen im wesentlichen im Gebiet der ehemaligen DDR. In fast sämtlichen Großstädten wurde die PDS dort zur stärksten politischen Kraft, in fast sämtlichen Stadtbezirken Ostberlins erhält sie mehr als 40 Prozent der abgegebenen Stimmen. Sie hat ihr Ergebnis (im Vergleich zur Bundestagswahl 1990) in sämtlichen Regionen Ostdeutschlands fast verdoppelt. Dem Einzug in den Bundestag steht nunmehr kaum noch etwas entgegen, denn die Gewinnung von mindestens 3 Direktmandaten wird die 5-Prozent- Hürde außer Kraft setzen. Und besondere RechenkünstlerInnen haben sogleich ausgerechnet, daß eine Übertragung des jetzigen Wahlergebnisses auf die Bundestagswahlen im Oktober heißen würde, daß die PDS mit rund 30 AbgeordnetInnen ins Bonner Parlament einziehen kann. Entsprechend gereizt reagieren die herrschende politische Öffentlichkeit und die etablierten Parteien. Da bildet der Fraktionsvorsitzende der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus Lewandowsky nur die Spitze des Eisberges, wenn er in einer feurigen Rede sofort die „Einstellung“ jegliche Finanztransfer an den Osten forderte, um die „roten Socken“ nicht auch noch in dieser Weise zu unterstützen. Dieser erdrutschartige Wahlerfolg der PDS, der parallel auch bei den entsprechenden Kommunalwahlen zu verzeichnen ist, beschert den Herrschenden schon auf der arithmetischen Ebene bedeutende Schwierigkeiten: In zahlreichen Kommunen Ostdeutschlands – tendenziell aber auch in zahlreichen Landesparlamente – ist eine Regierung gegen die PDS nur noch um den Preis einer großen Koalition zu haben. Für die bevorhenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt beantwortet die PDS dies damit, daß sie anfängt, laut über Tolerierungsangebote nachzudenken, ohne dabei – und im Unterschied zu den gewendeten Grünen – den Grundsatz, Oppositionspartei bleiben zu wollen, auch nur ansatzweise in Frage stellt. Dieser Wahlsieg verunsichert aber auch im Westen, denn jahrzehntelang genutzte Klischees des Antikommunismus – der ja Staatsdoktrin war – geraten ins Wanken. Damit ist zusätzlicher Raum für eine notwendige Opposition und für politischen Widerstand auch bei uns mit gegeben. Trotzdem bleibt der Tatbestand, daß die wahlpolitischen Probleme der Linken für Westdeutschland und auch für Hamburg im wesentlichen ungelöst bleiben, denn den gewaltige Stimmenzuwächsen im Osten stehen weiterhin magere 0,6 Prozent im Westen gegenüber, in Bremen und Hamburg mit 2,1 und 1,4 Prozent zwar höhere – aber keinesfalls überzeugende Er gebnisse. Das, was die PDS im Osten ist, sind – gemessen an den Stimmenergebnissen zwar im bescheideneren Umfang – im Westen nach wie vor die GRÜNEN. Fast in allen westdeutschen Bundesländern Zuwächse um 6 oder 7 Prozent. Den Highlight bildet Hamburg. Die GAL konnte hier – gegenüber den Bundestagswahlen – fast 13 Prozent hinzugewinnen und erzielt ein Rekordergebnis von 18,5 Prozent. Die Stimmenzuwächse resultieren insbesondere aus Verlusten der SPD. Ist der Druck im Osten in Richtung Opposition und Widerstand mit dem PDS-Wahlergebnis das entscheidende Resultat, so ist im Westen nach wie vor ein zunehmender Druck auf rotgrün und eine damit verbundene Reformhoffnung in sämtlichen Bundesländern als entscheidendes Wahlmotiv bei typisch linken WählerInnen nachzuweisen – und eben in Hamburg besonders stark ausgeprägt. Umgekehrt: Die politische Linke – und bei diesen Wahlen eben in Gestalt der PDS- Listen – erzielt aber genau dort kleine Achtungserfolge (so eben in Hamburg 1,4%, in Frankfurt 1,8%, in Bremen 2,1%, in Hannover und Oldenburg zum Beispiel 1,5 bzw. 1,6 Prozent) in diesen Hochburgen „rot-grüner“ Reformhoffnungen („-illusionen“). Dies fordert zu einer genaueren Diskussion um die weiteren wahlpolitischen Probleme der Linken sowohl auf kommunaler, wie auf landes- und bundespolitischer Ebene deutlich heraus. Ein drittes Resultat dieser Wahlen besteht darin, daß es nunmehr – zumindest die Kommentatoren in der FAZ gehen davon aus – fast sicher scheint, daß die CDU und Kohl bei der Bundestagswahl erneut das Rennen machen. Die Linke muß sich auch darauf einstellen, ihre Politik, inklusive ihrer Wahlpolitik, entsprechend zuspitzen und präzisieren, die Frage noch genauer diskutieren, in welche Richtung die politischen Entwicklungen im Bereich der Sozialpolitik wie auch der Außen- und Innenpolitik gehen werden und wie hier wirksamer Widerstand zu organisieren ist. Eine besondere Frage, die in diesem Zusammenhang gerade für Hamburg ansteht, ist die erneute Diskussion um die Verbindung parlamentarischer wie außerparlamentarische Aktionsformen politischen Widerstands. Es fällt auf, daß gerade in Hamburg die absolute Anzahl der WählerInnenstimmen für die PDS, ins Verhältnis gesetzt zu 1990, gesunken ist. Dies mag insbesondere mit der in Hamburg extrem niedrigen Wahlbeteiligung zu tun haben. Es muß jedoch präzisierend hinzugefügt werden, daß eine genauere Untersuchung der Wahlergebnisse in einzelnen Stadtteilen zeigt, daß dieser Stimmenrückgang insbesondere auf die Stadtviertel zurückzuführen ist, in denen die linke politische Szene besonders präsent ist (z.B. St. Pauli, Karo-Viertel u.a.). Die Skepsis gegenüber parlamentarischen Wahlen, besonders natürlich dann noch Europawahlen, ist hier bekanntlich besonders hoch, ein Zusammenhang zu bestimmten Debatten um Nationalismus und andere Fragen, wie sie z.B. in der konkret geführt werden, ist zwar nicht nachzuweisen, aber doch zu vermuten. Und auch die gut 800 Stimmen für die „Unregierbaren/Auli“ haben, zumindest aus der Sicht der Bündelung wahlpolitischer Kräfte von links, gefehlt. –

Verwendung: Lokalberichte Nr. 13/1994 (Juni 1994)
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